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Entschleunigt reisen: Warum der Zug die schönste Art zu reisen ist
Weniger Tempo, mehr Tiefe: Wer mit dem Zug reist, erlebt nicht nur Landschaften, sondern auch das Reisen selbst bewusster. Warum entschleunigtes Reisen auf der Schiene eine echte Alternative zum Fliegen ist – für Umwelt, Kopf und Herz.
Digital-Redaktion, vom 22.08.2025
Der Blick aus dem Zugfenster bleibt hängen: grüne Hügel, ein Fluss, der sich durch ein Tal schlängelt – kein hektisches Boarding, kein Stau, keine Sicherheitskontrolle. Während draußen die Welt vorbeizieht, stellt sich drinnen ein Gefühl ein, das auf Flugreisen selten geworden ist: Zeit. Wer langsam reist, reist anders. Immer mehr Menschen steigen deshalb bewusst aufs Gleis um – und entdecken eine Reiseform, die entschleunigt, verbindet und verändert.
© Ioana Catalina E, Shutterstock
Die Wiederentdeckung der Langsamkeit
Die Welt dreht sich schnell – zu schnell, finden viele. Während Hochgeschwindigkeitsflüge uns in wenigen Stunden an fast jeden Ort der Welt bringen können, geht dabei oft etwas Wesentliches verloren: das Reisen selbst. Entschleunigtes Reisen bedeutet, den Weg zum Ziel zu machen. Es geht darum, bewusst zu entscheiden, dass die Art und Weise, wie wir reisen, genauso bedeutsam ist wie der Ort, an dem wir ankommen. Der Zug verkörpert dieses Prinzip wie kein anderes Verkehrsmittel.
Wie Zugreisen helfen, CO₂ zu sparen
In Zeiten des Klimawandels wird die Frage, wie wir reisen, immer drängender. Der Tourismus verursacht etwa 8 % der globalen CO₂-Emissionen, wobei der Flugverkehr einen erheblichen Teil dazu beiträgt. Eine Zugfahrt von Berlin nach Paris verursacht etwa 90 % weniger CO₂ als der entsprechende Flug. Diese Zahlen sprechen für sich.
Nachhaltiges Reisen bedeutet jedoch mehr als nur CO₂-Einsparung. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz: um Respekt vor lokalen Kulturen und Ökosystemen, um die Unterstützung lokaler Wirtschaftskreisläufe und um die bewusste Entscheidung für eine Form des Tourismus, die mehr gibt als nimmt.
© Maleo Photography, Shutterstock
Zugfahren: Entspannung statt Stress
Züge sind nicht nur effizienter im Energieverbrauch; sie nutzen auch bestehende Infrastrukturen und verursachen weniger Lärmbelastung als Flugzeuge. In Europa, wo das Schienennetz besonders gut ausgebaut ist, kann eine Familie von vier Personen durch die Wahl des Zuges statt des Flugzeugs auf einer Strecke wie München–Rom bis zu einer Tonne CO₂ einsparen.
Während Flugreisen oft mit Stress, Enge und langen Wartezeiten verbunden sind, bietet der Zug meist ein völlig anderes Erlebnis. Beinfreiheit, die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, Landschaften zu genießen und in Ruhe zu arbeiten oder zu lesen – all das macht Zugfahren zu einer entspannten Alternative. In vielen europäischen Zügen gibt es zudem komfortable Speisewagen, WLAN und Steckdosen, sodass die Reisezeit produktiv genutzt werden kann. Eine passende Lektüre dazu ist der äußerst unterhaltsame Erfahrungsbericht von Tom Chesshyre: Bummelzug nach Istanbul
© Roberto Calabrese, Shutterstock
Slow Travel – Die Kunst des bewussten Reisens
Slow Travel ist ein Ableger der Slow-Food-Bewegung, die in den 1980er Jahren in Italien als Reaktion auf die Ausbreitung von Fast-Food-Ketten entstand. Ähnlich wie Slow Food die Qualität und den Genuss von Lebensmitteln in den Vordergrund stellt, betont Slow Travel die Qualität des Reiseerlebnisses gegenüber der Quantität der besuchten Orte.
Im Gegensatz zum hektischen "Abhaken" von Sehenswürdigkeiten geht es beim Slow Travel um tiefere Verbindungen zu Orten und Menschen. Es bedeutet, weniger Ziele zu besuchen, aber diese intensiver zu erleben, lokale Kulturen zu verstehen und authentische Erfahrungen zu sammeln. Der Zug als Transportmittel unterstützt diesen Ansatz perfekt – er bringt Reisende oft direkt ins Herz von Städten oder durch abgelegene Landschaften, die vom Massentourismus unberührt geblieben sind.
© Gordon Bell., Shutterstock
Die Welt durchs Zugfenster
Eine Zugreise bietet eine einzigartige Perspektive auf die durchquerten Landschaften. Vom Alpenpanorama bis zu mediterranen Küstenabschnitten, von dichten Wäldern bis zu weiten Ebenen – der Zug ermöglicht es, die geografische und kulturelle Vielfalt einer Region zu erleben und zu verstehen, wie sich Landschaften allmählich verändern.
Die Flexibilität des Zugreisens erlaubt es, spontan auszusteigen und unerwartete Orte zu erkunden. Ein charmantes Dorf, das durch das Zugfenster entdeckt wurde, ein lokales Fest in einer Kleinstadt oder ein versteckter See neben den Gleisen – solche ungeplanten Erlebnisse machen oft die wertvollsten Reiseerinnerungen aus.
© sz_anetta, Shutterstock
Europas schönste Zugstrecken
Glacier Express: Durch das Herz der Alpen Die wohl berühmteste Panoramazugstrecke Europas verbindet St. Moritz mit Zermatt in der Schweiz. Auf einer acht Stunden dauernden Fahrt überquert der Glacier Express 291 Brücken, durchfährt 91 Tunnel und überwindet den 2.033 Meter hohen Oberalppass. Die Panoramafenster bieten spektakuläre Ausblicke auf Gletscher, alpine Dörfer und tiefe Schluchten.
© COLOMBO NICOLA, Shutterstock
Die offizielle Seite des Glacier Express: https://glacierexpress.ch/de
West Highland Line: Schottische Wildnis
Die von vielen als schönste Bahnstrecke der Welt bezeichnete West Highland Line führt von Glasgow durch die schottischen Highlands bis nach Mallaig. Auf dem Weg passiert sie den Loch Lomond, überquert das Glenfinnan-Viadukt (bekannt aus den Harry-Potter-Filmen) und bietet atemberaubende Ausblicke auf die raue schottische Landschaft.
© Creative Screen, Shutterstock
Die offizielle Seite der West Highland Line: https://www.scotrail.co.uk/inspiration-hub/great-scenic-rail-journeys/west-highland-line-glasgow-oban-and-fort-williammallaig
Cinque Terre Express: Mediterranes Juwel
Entlang der ligurischen Küste in Italien verbindet dieser Zug die fünf malerischen Dörfer der Cinque Terre. Die Strecke schlängelt sich zwischen steilen Klippen und dem tiefblauen Mittelmeer entlang, vorbei an Weinterrassen und bunten Fischerdörfern, die in die Felsen gebaut wurden.
© Botond Horvath, Shutterstock
Die offizielle Seite des Cinque Terre Express ist: https://www.cinqueterre.eu.com/de/cinque-terre-fahrplan
Praktische Tipps für nachhaltiges Zugreisen
Die Planung einer Zugreise erfordert etwas mehr Vorbereitung als ein Flug. Websites wie Rail Europe, Trainline oder die Plattformen der nationalen Bahngesellschaften helfen bei der Routenplanung. Frühbuchungen sind oft deutlich günstiger, besonders bei internationalen Verbindungen.
Bahn-Pässe und Angebote
Für längere Reisen durch mehrere Länder lohnen sich Bahn-Pässe wie der Interrail-Pass (für Europäer) oder Eurail (für Nicht-Europäer). Diese bieten unbegrenzte Fahrten in bis zu 33 europäischen Ländern für einen festgelegten Zeitraum und ermöglichen maximale Flexibilität.
© Rasmus Lindkvist
Multimodale Reisen
Zugreisen lassen sich hervorragend mit anderen nachhaltigen Verkehrsmitteln kombinieren. Fahrräder können in vielen Zügen mitgenommen werden, lokale Busse ergänzen das Angebot in ländlichen Regionen, und Fähren verbinden Inseln mit dem Festland.
Herausforderungen meistern
Zeitmanagement Die längere Reisedauer beim Zugfahren erfordert ein Umdenken. Statt als verlorene Zeit sollte sie als gewonnene Zeit betrachtet werden – zum Lesen, Arbeiten, Nachdenken oder einfach zum Genießen der Landschaft. Eine gute Vorbereitung mit Unterhaltungsmedien, Snacks und bequemer Kleidung macht die Fahrt angenehmer.
Gepäcklösungen
Anders als beim Fliegen gibt es beim Zugfahren meist keine Gepäckbeschränkungen. Dennoch ist leichtes Reisen empfehlenswert, besonders wenn Umstiege geplant sind. Rollkoffer, Rucksäcke mit guter Gewichtsverteilung und Packwürfel zur Organisation helfen, das Gepäck effizient zu handhaben.
© AANegoro, Shutterstock
[FAQs]
Für wen eignet sich Slow Travel mit dem Zug? Slow Travel mit dem Zug ist ideal für Menschen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, die Reise selbst als Teil des Erlebnisses sehen und tiefere Einblicke in bereiste Regionen gewinnen möchten. Besonders geeignet ist es für Alleinreisende, Paare und Familien, die flexibel in ihrer Zeitplanung sind und Freude am bewussten Erleben haben.
Ist Zugreisen teurer als Fliegen? Nicht zwangsläufig. Während Billigflüge auf den ersten Blick günstiger erscheinen können, bieten viele Bahngesellschaften Frühbucherrabatte, Sparpreise und Pässe an, die das Zugreisen wirtschaftlich attraktiv machen. Zudem entfallen versteckte Kosten wie Anreise zu oft abgelegenen Flughäfen, Gepäckgebühren und teure Flughafenmahlzeiten.
Kann man mit Kindern Slow Travel machen? Absolut! Zugreisen mit Kindern kann sogar entspannter sein als Fliegen. Kinder können sich im Zug bewegen, die Landschaft beobachten und die Reise wird zu einem Abenteuer. Viele Züge bieten Familienbereiche, und die flexibleren Zeiten ohne strenge Sicherheitskontrollen reduzieren Stress für Eltern. Besonders hilfreiche Tipps gibt unsere Autorin Jenny Menzel auf ihrem Reiseblog weltwunderer.de oder die Marco-Polo-Website zu: Reisen mit Kindern
Wie lang sollten entschleunigte Zugreisen sein? Die ideale Dauer hängt von persönlichen Vorlieben und der Strecke ab. Als Faustregel gilt: Je länger die Anreise, desto länger sollte der Aufenthalt sein. Eine zweiwöchige Reise mit dem Zug könnte beispielsweise 2–3 Hauptziele umfassen, mit jeweils 4–5 Tagen Aufenthalt und interessanten Stopps dazwischen.
Welche Apps helfen bei der nachhaltigen Reiseplanung? Neben den Apps der nationalen Bahngesellschaften sind Trainline, Omio und Rail Planner (von Interrail/Eurail) hilfreich für die Routenplanung. EcoPassenger berechnet den ökologischen Fußabdruck verschiedener Reiseoptionen, während Apps wie HappyCow oder TooGoodToGo nachhaltiges Essen unterwegs erleichtern.

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Das Zugreisen erlebt derzeit eine Renaissance, und das aus gutem Grund. In einer Welt, die von Schnelligkeit und Effizienz getrieben wird, bietet es eine bewusste Alternative – eine Möglichkeit, das Reisen wieder als das zu erleben, was es sein sollte: eine Erweiterung des Horizonts, eine Begegnung mit dem Unbekannten und eine Chance, die Welt in ihrem natürlichen Rhythmus zu erleben.
Die Entscheidung für den Zug ist mehr als eine praktische Wahl des Transportmittels – sie ist eine Entscheidung für eine bestimmte Art des Reisens und Erlebens. Eine, die der Umwelt, den besuchten Orten und nicht zuletzt den Reisenden selbst zugutekommt. Denn manchmal ist der schönste Weg zum Ziel tatsächlich die Schiene.