- Magazin
- Reportagen
- Kazimierz in Krakau: Jüdische Tradition trifft hippe Kulturszene
Krakau
Kazimierz in Krakau: Jüdische Tradition trifft hippe Kulturszene
Das ehemalige jüdische Viertel Kazimierz hat sich zum kreativen Zentrum Krakaus entwickelt. In den verwinkelten Gassen, wo einst jüdische Geschichte geschrieben wurde, blüht heute ein faszinierendes Nebeneinander aus Tradition und Moderne. Designer-Boutiquen, atmosphärische Cafés und innovative Galerien haben zwischen historischen Synagogen und verwitterten Mauerwerken ein einzigartiges urbanes Biotop geschaffen, das Besucher in seinen Bann zieht.
Lea Katharina Nagel, vom 05.05.2025
Die Morgensonne taucht die abblätternden Fassaden der Häuser in Kazimierz in warmes Licht. Ein Straßenkehrer beseitigt die letzten Spuren der vergangenen Nacht, während das Viertel langsam zum Leben erwacht. Aus den Cafés dringt bereits der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, erste Besucher schlendern durch die kopfsteingepflasterten Gassen. Kazimierz, einst eine eigenständige Stadt und später jüdisches Zentrum Krakaus, hat eine bemerkenswerte Metamorphose vollzogen – vom vergessenen Stadtteil zum angesagtesten Viertel der polnischen Kulturmetropole.
Kreative Energie zwischen historischen Mauern
© nice_pictures, Shutterstock
Die Ulica Józefa bildet heute die Lebensader des modernen Kazimierz. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die ehemals heruntergekommene Straße in eine florierende Designmeile verwandelt. Minimalistisch eingerichtete Concept Stores wechseln sich ab mit Vintage-Boutiquen, in denen Modedesigner ihre Kollektionen präsentieren. So vereint das Skład Koncept Café, Galerie und Designshop unter einem Dach – es ist ein Paradebeispiel für die kreative Neuinterpretation historischer Räume hier.
"Es ist die Mischung, die Kazimierz so besonders macht", erklärt eine Einheimische, die eine Kunstgalerie in der Nähe des zentralen Plac Nowy betreibt. "Hier treffen Künstler auf Handwerker, Studenten auf Touristen, und die Vergangenheit auf die Zukunft."
Dieser kulturelle Schmelztiegel spiegelt sich nicht nur in Läden und Mentalität wieder, sondern auch ganz besonders in der Architektur wider: Neben sorgfältig restaurierten historischen Gebäuden stehen moderne Neubauten, die sich sensibel einfügen und so ein harmonisches Ensemble schaffen.
Der Plac Nowy mit seinem charakteristischen runden Marktgebäude – dem Okrąglak – ist einer der zentralen Versammlungsorte des Viertels. Tagsüber herrscht hier geschäftiges Treiben an den Marktständen, während abends die umliegenden Lokale zum Leben erwachen. Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan und die Transformation des Platzes steht symbolisch für den Wandel des gesamten Viertels, denn: Wo früher ausschließlich Gemüse und Haushaltswaren verkauft wurden, finden heute mitunter Designermärkte und Kunstinstallationen statt.
Kulinarische Avantgarde mit historischen Wurzeln
Auch die gastronomische Szene in Kazimierz verbindet gekonnt Tradition mit Innovation. Im Restaurant Hamsa werden nahöstliche Klassiker neu interpretiert und das einprägsame Motto Make Hummus not war ziert die Wände des lichtdurchfluteten Lokals. Fotografien aus dem alten Jerusalem schaffen eine Verbindung zur jüdischen Geschichte des Viertels, während die Einrichtung mit modernem Design überzeugt. Einen Schritt weiter geht das Once Upon A Time in Kazimierz/Chajim Kohan geht noch einen Schritt weiter: In einem liebevoll restaurierten Ensemble historischer jüdischer Geschäfte serviert das Restaurant authentische jüdisch-polnische Küche in einem atmosphärischen Ambiente, das an die 1930er Jahre erinnert. Die Speisekarte umfasst Klassiker wie Gefilte Fisch und Cholent, peppt diese jedoch mit neuen Kochtechniken und regionalen Zutaten frisch auf.
Für den schnellen Hunger empfiehlt sich ein Besuch am neuen Platz Okrąglak. Besonders vor dem Stand des Endzior, wo die Tradition der polnischen Streetfood-Spezialität Zapiekanki seit Jahrzehnten gepflegt wird, bilden sich regelmäßig lange Schlangen. Die hier zubereiteten offene Baguettes mit Pilzen, Käse und verschiedenen Toppings haben mittlerweile Kultstatus erlangt.
© nice_pictures, Shutterstock
Kulturelle Renaissance zwischen Synagogen und Street Art
Doch die kreative Energie in Kazimierz zeigt sich nicht nur in Restaurants, Galerien und Designshops. An Hauswänden entfaltet sich schon seit einiger Zeit eine beeindruckende Street-Art-Szene, deren Werke oft Bezug auf die Geschichte des Viertels nehmen. Großformatige Murals erzählen von jüdischer Vergangenheit, aber auch von der städtischen Gegenwart Krakaus. Besonders sehenswert sind die Wandgemälde entlang der Ulica Józefa, die auf fast poetische Weise die Vergangenheit und Zukunft des Viertels reflektieren, wobei sich auch an versteckten Orten bunte Kunstwerke zeigen.
Zwischen Farbe, hippen Lokalen und modernen Kunsträumen stehen die historischen Bauten jüdischer Kultur als würdevolle Erinnerungsorte.
© siekierski.photo, Shutterstock
Die Alte Synagoge aus dem 15. Jahrhundert beherbergt heute ein Museum für jüdische Geschichte. Die prachtvolle Tempel-Synagoge mit ihrer maurisch inspirierten Fassade und dem kunstvoll restaurierten Innenraum wird heute u.a. für Konzerte und kulturelle Veranstaltungen genutzt. Diese Gebäude sind nicht nur für Touristen ein Anziehungspunkt, sondern dienen weiterhin als wichtiges kulturelles Fundament, auf dem sich die neue Identität des Viertels entwickelt.
Festivals und Veranstaltungen: Eine bunte Mischung aus Tradition und Moderne
Der kulturelle Höhepunkt des Jahres ist das Jüdische Kulturfestival, das seit 1988 stattfindet und jährlich über 30.000 Besucher anzieht. Eine Woche lang im Juni/Juli verwandelt sich besonders Kazimierz in einen Schmelztiegel jüdischer Kultur mit Konzerten, Workshops, Lesungen und Ausstellungen. Das große Abschlusskonzert Shalom on Szeroka Street bringt internationale Klezmer-Bands und zeitgenössische Interpreten jüdischer Musik auf die Bühne – ein eindrucksvolles Symbol für die kulturelle Wiederbelebung des Viertels.
Neben diesem etablierten Festival haben sich in den letzten Jahren zahlreiche kleinere Veranstaltungsformate entwickelt: So lädt die **Kazimierz Night ** jeden Sommer zu einer langen Nacht der offenen Galerien, Ateliers und Designshops ein. Im Alchemia, einem der ältesten alternativen Kneipen des Viertels, finden regelmäßig Jazzkonzerte und Literaturlesungen statt – das Singer mit seinen namensgebenden Nähmaschinen als Tische hat sich wiederum als szeniger Veranstaltungsort für Indie-Folk-Konzerte etabliert.
© rustamank, Shutterstock
Natürlich hat die Transformation von Kazimierz hat auch Herausforderungen mit sich gebracht. Steigende Mieten und zunehmender Tourismus verändern die soziale Struktur des Viertels. Dennoch ist es Kazimierz gelungen, einen authentischen und fairen Charakter zu bewahren. Zwischen den trendigen Cafés existieren weiterhin traditionelle Handwerksbetriebe, neben Luxuswohnungen finden sich bescheidene Mietwohnungen und im Schatten der Touristenattraktionen gedeiht eine lebendige Lokalkultur der Einheimischen. Und so ist Kazimierz ist mehr als ein weiteres gentrifiziertes Altstadtviertel. Es ist ein Ort, an dem Geschichte nicht als "museales Relikt" konserviert, sondern als lebendiger Teil der Gegenwart interpretiert und weiterentwickelt wird. Die Balance zwischen Respekt für die Vergangenheit und Offenheit für neue Impulse macht Kazimierz zu einem der faszinierendsten Stadtteile Europas. Es ist ein Musterbeispiel dafür, wie kulturelles Erbe und zeitgenössische Kreativität sich gegenseitig befruchten können!