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Albanien
Albaniens Bunker Boom
Wie Hoxhas Bunker zu Tourismusmagneten avancieren
Über 170.000 pilzförmige Betonbauten durchziehen Albaniens atemberaubende Landschaft als stumme Zeugen einer vergangenen Ära. Was einst als wahnwitziges Verteidigungsprojekt eines isolierten Diktators begann, entwickelt sich heute zu einem faszinierenden Kulturphänomen Europas. Von Museen über Cafés bis hin zu kreativen Umnutzungen – die Bunker Albaniens laden zu einer Entdeckungsreise ein, die Geschichte und Gegenwart auf einzigartige Weise verbindet.
Digital-Redaktion, vom 29.05.2025
Der Morgennebel liegt noch über der albanischen Küstenstraße, als die ersten Sonnenstrahlen auf die charakteristischen Betonkuppeln treffen. Wie versteinerte Pilze ragen sie aus dem kargen Boden, manche direkt am türkisblauen Ionischen Meer, andere versteckt zwischen Olivenhainen oder auf schroffen Bergkämmen. Diese Bunker – zwischen 1967 und 1986 unter dem kommunistischen Diktator Enver Hoxha errichtet – prägen bis heute die Landschaft des Balkanlandes so nachhaltig wie kaum ein anderes architektonisches Element. Die genaue Anzahl dieser Betonbauten ist umstritten. Offizielle Schätzungen gehen von etwa 173.000 Bunkern aus, manche Quellen sprechen sogar von bis zu 750.000. Bei einer damaligen Bevölkerung von nur 3 Millionen Einwohnern eine unfassbare Ressourcenverschwendung für ein Land, das zu den ärmsten Europas zählte.
Doch was einst als Symbol der Isolation und Paranoia galt, erlebt heute eine erstaunliche Renaissance. Seit der demokratischen Öffnung des Landes in den 1990er Jahren und verstärkt seit dem EU-Kandidatenstatus 2014 hat Albanien einen bemerkenswerten Wandel vollzogen – und die Bunker spielen dabei eine überraschende Rolle im aufstrebenden Tourismus des Landes.
© Kim Willems, Shutterstock
Betonpilze mit tausend Gesichtern
Die Bunker entstanden aus Hoxhas obsessiver Angst vor einer Invasion. Der Diktator, der Albanien von 1944 bis zu seinem Tod 1985 mit eiserner Hand regierte, brach nacheinander mit Jugoslawien, der Sowjetunion und schließlich auch mit China. In seiner zunehmenden Isolation sah er Feinde an allen Fronten und ließ das ganze Land mit Bunkern überziehen – vom Bergdorf bis zum Stadtzentrum, vom Strand bis zum Ackerland.
In Tirana, der aufstrebenden Hauptstadt mit ihren rund 800.000 Einwohnern, führt der Weg zum beeindruckendsten dieser Relikte durch einen unscheinbaren Park am Stadtrand. Hier öffnet sich der Eingang zu Bunk'Art 1 – einem fünfstöckigen unterirdischen Komplex, der ursprünglich als atomsicherer Zufluchtsort für die politische Elite konzipiert war. Heute beherbergt das labyrinthische System mit seinen 106 Räumen auf 2.685 Quadratmetern ein Museum, das die dunkle Ära des Kommunismus dokumentiert.
© Brester Irina, Shutterstock
Die kühlen, leicht modrig riechenden Gänge führen Besucher durch eine Zeitreise in die kommunistische Vergangenheit. An den Wänden: vergilbte Propagandaposter, Originalfotos von Arbeitseinsätzen, Verhörzellen mit originalem Mobiliar. Besonders beeindruckend sind die nachgestellten Szenen aus dem Alltag der politischen Führung, die hier im Ernstfall Zuflucht gesucht hätte.
© Tohuwabohu 1976, Shutterstock
Ein zweiter Standort, Bunk'Art 2, eröffnete 2016 mitten im Stadtzentrum und zieht mit seiner modernen Museumskonzeption besonders jüngere Besucher an. Der Eintritt kostet etwa 8 Euro (Stand 2025) – ein Preis, den auch viele Albaner sich leisten, um der eigenen Historie zu begegnen. Beide Museen haben sich zu wichtigen Anlaufpunkten für Touristen entwickelt, die mehr über Albaniens komplexe Geschichte erfahren möchten.







Von der Angst zum Genuss: Neue Nutzungen alter Bunker
Die kreative Umnutzung der Bunker zeigt sich besonders eindrucksvoll in der Küstenstadt Durrës, nur 35 Kilometer westlich von Tirana. Hier haben findige Unternehmer mehrere der größeren Bunker in Cafés und Restaurants verwandelt. Durch die gewölbten Betontüren betreten Gäste überraschend gemütliche Räume, in denen rustikale Holzmöbel und moderne Designelemente einen reizvollen Kontrast zum rohen Beton bilden. Gleichzeitig halten die dicken Wände im Sommer die Hitze draußen und im Winter die Wärme drinnen. Die größte Herausforderung bei der Umnutzung der Bunker ist meist die Belüftung – die ursprünglichen Erbauer hatten schließlich keine Restaurantgäste im Sinn. Dennoch zählen diese ungewöhnlichen Lokale heute zu den beliebtesten Anlaufpunkten für Touristen, die authentische albanische Küche in einem historisch aufgeladenen Ambiente genießen möchten.
© Jan Hendrik, Shutterstock
Weiter südlich, an der sogenannten albanischen Riviera zwischen Vlora und Saranda, haben kreative Köpfe die Strandbunker in Bars und sogar einfache Unterkünfte verwandelt. In der Region um Ksamil, direkt gegenüber der griechischen Insel Korfu, finden Besucher verschiedene umgebaute Bunker – von der einfachen Strandbar bis hin zu kleinen, aber komfortablen Übernachtungsmöglichkeiten mit Meerblick.
Auf Bunkerroute durch ein Land im Wandel
Die beste Zeit für eine Bunker-Erkundungstour durch Albanien sind die Monate Mai, Juni, September und Oktober. Dann sind die Temperaturen angenehm, die Touristenmassen überschaubar und die Preise moderater als in der Hochsaison. Eine gut geplante Route beginnt typischerweise in Tirana mit den beiden Bunk'Art-Museen, führt dann zur Küste nach Durrës und folgt der spektakulären Küstenstraße SH8 nach Süden.
Für eine umfassende Bunker-Erkundung sollte man mindestens eine Woche einplanen. Verschiedene lokale Reiseveranstalter bieten thematische Touren an: Eintägige Ausflüge zu den wichtigsten Standorten rund um Tirana kosten ab etwa 45 Euro pro Person, mehrtägige Touren entlang der Küste beginnen bei etwa 300 Euro und beinhalten oft auch Übernachtungen in umgebauten Bunkern oder nahegelegenen Unterkünften (Stand 2025).
Besonders beeindruckend ist der Kontrast zwischen den düsteren Relikten und der atemberaubenden Landschaft Albaniens. An der Küste stehen die Betonpilze oft direkt am kristallklaren Wasser, umgeben von schroffen Kalksteinklippen. Im Landesinneren, nahe der UNESCO-Welterbestadt Gjirokastër, ragen sie aus terrassierten Weinbergen, wo einige der Bunker als Lagerräume oder Weinkeller genutzt werden. Die Bunker sind wie eine zweite Haut für Albanien. Sie sind da, also hat man gelernt damit zu leben – und sogar von ihnen zu profitieren. Eine kreativ-pragmatische Haltung, die den Charakter eines Landes widerspiegelt, das seine Vergangenheit nicht leugnet, aber entschlossen nach vorne blickt.
© Kim Willems, Shutterstock
Für Reisende bietet sich damit die seltene Gelegenheit, Geschichte hautnah zu erleben – in Form von tausenden Betonpilzen, die eine neue Bestimmung gefunden haben. Vom düsteren Symbol der Isolation zum Instagram-tauglichen Hotspot, vom Mahnmal zum Café – Albaniens Bunker erzählen die Geschichte eines Landes, das sich neu erfindet, ohne seine Vergangenheit zu vergessen.
Das mit Erfolg, die offiziellen Tourismusdaten des Landes sprechen für sich: Während 2010 nur etwa 2,4 Millionen Touristen Albanien besuchten, waren es 2019 bereits 6,4 Millionen. Nach dem pandemiebedingten Einbruch verzeichnete das Land 2022 mit 7,5 Millionen internationalen Besuchern einen neuen Rekord. Ein Land im Aufbruch, das seine betonerne Vergangenheit nicht abreißen kann – und es mittlerweile auch gar nicht mehr will.